Sind wir Entertainment-Junkies?
Als dieser Tage eine Studie veröffentlicht wurde, die die Freizeitbeschäftigung der Deutschen unter die Lupe nahm, war ich doch erstaunt. Über die Hälfte aller angegebenen Freizeitbeschäftigungen fallen in die Kategorie Mediennutzung, allem voran das Fernsehen auf Platz eins. Wenn man etwas nachdenkt wird die Sache aber schnell klar: Es geht nicht mehr um das sequentielle Fernsehen, welches bis weit in die 2000er praktiziert wurde, sondern um „Fernsehen On Demand“. Heutzutage kann man sich einfach sein Lieblingsprogramm auswählen oder zusammenstellen. Zu jeder Zeit, an jedem Ort. Smart-TV und Internet-Streaming machen es möglich, Smartphones und Tablets geben die Bewegungsfreiheit. Ubiquitärem Entertainment, also allgegenwärtiger Unterhaltung, und dem Medienkonsum nach individuellen Bedürfnissen steht damit nichts im Weg.
„Geht ins Ohr, bleibt im Kopf“
Der zweite Platz in der Studie machte mich jedoch wirklich stutzig: Radiohören. Nanu, konnte ich mich doch noch gut erinnern, dass genau dieses Medium mit Beginn des Internetzeitalters dem Tode geweiht wurde. Doch gerade das Medium Internet hat dem Radio zu neuem Leben verholfen. Ich habe das Stichwort bereits genannt: Streaming. Schon Mitte der 1990er-Jahre konnte man digitale Audioangebote als Radio Livestream empfangen. Damals waren es oftmals noch vorab produzierte Sendungen, die über den Online-Äther an die Webradio-Hörer geschickt wurden. Die bekannteste Software, um diese Streams auf den heimischen Computern abzuspielen, war der „Real Player“ von Real Networks. Mit diesem konnte bereits damals jeder Nutzer eines internetfähigen Computers Radio online hören. Durch immer höhere Bandbreiten im Heimbereich war es ab Mitte der 2000er-Jahre möglich selbst einen privaten Online-Radiosender zu starten. Ein Mikrofon, ein Mischpult und natürlich eine ausreichende Musikauswahl, mehr brauchte es nicht. Die Infrastruktur mit Antennen und Funktürmen für eine terrestrische Ausbreitung entfiel hier komplett, jeder der einen Internetanschluss hatte konnte theoretisch zuhören. Viele Webradios spezialisierten sich auf „Special Interest“ in Musik und Wortbeiträgen. Das führte und führt bis heute zu einer großen Akzeptanz und damit zu vielen Hörern in den jeweiligen Zielgruppen. Was dann schlussendlich auch den zweiten Platz der Studie erklärt.
Webradio & Online Radio Streams heute
Durch die heutigen Möglichkeiten ist das Angebot an Webradios in den letzten 10 Jahren rasant angestiegen, allein in Deutschland gibt es – Stand 2013 – über 2800 Webradio-Stationen. Der Trend ist zwar etwas rückläufig, hat jedoch auch damit zu tun, dass sich Online Radios zusammenschließen. Die Anzahl der Zuhörer ist lediglich durch die Bandbreite des Senders begrenzt. Allerdings müssen Gebühren an Rechteinhaber (Deutschland: GEMA/GVL) abgeführt werden, sofern die Musik selbst nicht GEMAfrei ist. Das kann den Rahmen eines unkommerziellen Senders, und das sind schließlich die meisten, schnell sprengen. So spezialisieren sich viele Sender auf Musik die nicht der GEMA unterliegt. Doch bereits vor der genannten Studie hatte ich das Bedürfnis eine dieser privaten Webradio-Stationen näher vorzustellen.
Auf der vergangenen Gamescom in Köln war der „Retro-Gaming“-Stand ganz im Zeichen der Chiptunes und Gamingmusik (wir berichteten), was von den Besuchern sehr wohlwollend aufgenommen wurde. In den 1980er und 90er Jahren wurden die Soundchips der Computer und Konsolen immer besser. Spielemusik die darauf komponiert wurde zählt heute oft zu den wichtigen Meilensteinen in der elektronischen Musik. Durch viele Remixe dieser Titel ist bis heute ein nahezu unüberschaubarer Pool entstanden. Hier tritt Classic Videogames LIVE! auf den Plan und bietet dafür eine Plattform. Und mehr noch, neben einem durchgängigen Radioprogramm gibt es auch eine regelmäßig stattfindende Videoübertragung in der Retro-Themen behandelt werden. Das geschieht Live und interaktiv mit den Livestream-Zuschauern.
Classic Videogames LIVE! – Onlineradio-Betreiber Marco Kautz im Interview
Den Betreiber und Livestreamer Marco Kautz habe ich dazu zu einem E-Mail Interview gebeten und einige Fragen zu seinem Retro Radio gestellt. Da das Interview sehr ausführlich geworden ist folgt zunächst Teil 1. In diesem geht es hauptsächlich um die Geschichte sowie das Programm vom Internetradio Classic Videogames Live! Viel Spaß beim Lesen und natürlich auch beim Reinhören (hier geht es zum Radio Livestream)!
PN: Hallo, Marco! Vielen Dank, dass du dir Zeit genommen hast und einige Fragen zum Projekt Classic Videogames LIVE! beantwortest. Wenn ich richtig liege – verbessere mich falls nicht – macht ihr seit 2012 das Projekt „Classic Videogames“ – wie kam es dazu und was war die Motivation?
Marco: Fast richtig! ;) Meine Webseite Classic-Videogames.de habe ich 2003 angefangen aufzubauen. Ich wollte meine Erinnerungen an meine Kindheit darin festhalten. Erst im 10. Monat des Jahres 2012 eröffneten wir unseren Livestream Classic-Videogames LIVE! auf der Webseite und ein Jahr später kam Classic-Videogames RADIO hinzu. Livestreamer bin ich schon seit 2008, meine Lebensgefährtin Sabrina ist 2011 das erste mal vor die Kamera getreten. Dass ich eine Sendung über retröse Rechner und Konsolen machen könnte kam eher zufällig, als Radio Paralax mir eine eMail mit einer Einladung schickte, ob ich sowas nicht mal ausprobieren wöllte.
PN: Wer steckt alles hinter diesem Projekt? Und wie sieht deren Zugang zu Videospielen im Allgemeinen aus?
Marco: Über diese Frage musste ich echt ein wenig nachdenken. Mein erster Gedanke war: „Wer steckt dahinter? Na ich, und Sabrina natürlich.“ Aber dann dachte ich: Nein, das ist es nicht allein. Wenn mein Vater nicht gewesen wäre und wir 1980 nicht schon einen VC-20 im Wohnzimmer stehen gehabt hätten, und danach nicht noch einen Atari 2600, C64, Amiga 500, Amiga 4000, Sega, Nintendo und Sony Hardware dazugekommen wäre, würde ich das jetzt hier alles gar nicht so machen, wie ich es mache. Ich saß als Kind immer dabei wenn mein Vater die neusten Sachen mit nach Hause brachte, weil’s sein Hobby war. Das Thema zieht sich durch mein gesamtes Leben und ist jeden Tag allgegenwärtig. Sabrina hatte streng genommen nichts mit der ganzen Computer-Szene zu tun, höchstens mal den Game Boy des Vetters benutzt und fleißig Tetris, Kwirk oder Super Mario Land gespielt. Aber durch mich ist sie da jetzt rein gewachsen und begeistert davon, mit welchem Elan die Retroszene diese alten Zeiten noch anbetet und feiert.
PN: Euer Projekt beinhaltet Onlineradio- sowie Videoübertragung. Zuerst mal zum Internetradio: Nach welchem Konzept wählt ihr die Musikstücke für das Radioprogramm aus? Wie viele Titel habe ihr zur Zeit in eurem Pool?
Marco: Derzeit ist es so, dass unser Schwerpunkt im Radio auf Original Chiptune Musik abzielt. Über 1160 Spielesoundtracks die von den Plattformen Amiga, Commdore 64, Game Boy, Mega Drive, NES, SNES, Nintendo 64 sowie Playstation konvertiert und für den Radiostream aufbereitet wurden. Aber wir haben nicht ausschließlich ein Chiptune Radio. Es gibt auch 237 Remixe, zum Beispiel von Klassikern wie Outrun oder Super Mario. Diese wurden von Freitzeitmusikern oder sogar den originalen Interpreten in neuem Gewand aufgenommen. In deren Studios, auf modernen Synthesizern. Manche Titel sogar mit einem richtigen Orchester.
PN: Können die Hörer Einfluss auf das Radioprogramm nehmen? Zum Beispiel Vorschläge für die Playlist oder Musikwünsche allgemein?
Marco: Aber natürlich können immer gerne Vorschläge gemacht werden. Abends ab 20 Uhr sind wir in der Regel zum allgemeinen Chatten im Radiochat anwesend. Dort können uns dann gerne Vorschläge gemacht werden, oder per natürlich eMail. Auch gibt es unsere Radiosendung „Jukebox“ in der Zuschauer sich live während der Ausstrahlung Titel aus unserer Playlist wünschen können und somit während dieser Sendezeit ihr Webradio-Programm selbst bestimmen.
PN: Das Radioprgramm ist 24/7. Dazu noch Live-Videostreams. Klingt nach ziemlich viel Arbeit. Wie viel Zeit investiert ihr in das Projekt?
Marco: Ja, im Grunde schon. Ein Ausstehender wertet das so. Ich sehe das anders, fast jeden Abend sitze ich nach meiner normalen Arbeit und bastle am Radio oder plane für die nächsten Sendungen und erarbeite die Themen, recherchiere nach Neuigkeiten in der Retroszene etc. Für mich ist das ein Hobby und Hobby ist keine Arbeit. Ich mache das aus Leidenschaft! Sabrina hört mir immer gebannt zu, wenn ich erzähle, was es neues gibt, was ich in der nächsten Sendung vorhabe und dann gibt sie mir Tipps was man vielleicht noch einbauen könnte oder was man vielleicht weglassen kann.
Mit Herzblut von Fans für Fans gemacht
Auch wenn Marco es nicht als Arbeit sieht: der Zeitaufwand für die Recherche der Radiosendungen ist nicht unerheblich. Das Einbinden von neuer Musik als auch der Hörer gehört natürlich genauso dazu wie die Pflege der Webseite und der sozialen Kanäle. Wenn ihr neugierig seid wie es weitergeht: im zweiten Teil wird uns Marco von den live ausgestrahlten Videotreams, sowie dem öffentlichen Auftreten von Classic Videogames Live! auf Ausstellungen als auch auf eigenen Veranstaltungen erzählen. Bis dahin, schaltet den Webradio Livestream ein oder gelangt hier zum zweiten Teil des Interviews!
[…] ersten Teil unseres Interviews mit Marco Kautz von Classic Videogames LIVE! ging es hauptsächlich um das […]